Mit dem Titel ist natürlich nicht die Erosion der Kreidefelsen gemeint. Nein, auch nicht Deutschlands größte Insel verbal zu attackieren. Wir gehen auf unseren ersten Seetörn mit der ‘EigenArt’. Zunächst Hannes, Fredi und ich. In Stralsund stößt Lini für`s Wochenende dazu. Bei bestem Segelwetter starten wir die Warnow herunter. “Da vorne ist noch ne West-Tonne. Aber die gilt bestimmt nur für Großschifffahrt…” rechtfertigen wir den ausgedehnten Holebug und schauen weiter in die Landschaft. “Alter, zwei Meter zehn – ein Meter achtzig – wenden, wenden, schnell!” Wollen Rügen umrunden, bleiben aber beinahe nördlich der Wendeplatte stecken! Bis man sein Heimatrevier kennt, ist es doch immer wieder aufregend.
Der erste Schlag auf See führt uns immerhin mit abnehmendem Wind bis vor den Darßer Ort. Zum Schluss bleibt nur noch eine mächtige Dünung und wir werfen in totaler Flaute den Anker. Die Trosse zeigt nach einer halben Stunde noch immer ‘auf und nieder’. Machen es uns im schwankenden Cockpit gemütlich. Bombastischer Sonnenuntergang. Durch die Kadetrinne ziehen die großen Pötte am Horizont entlang – wir ziehen uns ein paar kleine Pötte rein. Erzählen, scherzen, lachen. In einem kurzen Augenblick der Stille: FIRRR-PLATSCH! Der Gummistropp, mit dem wir die Pinne weggebunden hatten, hat sich im Schwell stückweise nach oben gedreht und dann mit einem satten Sprung direkt in die Ostsee verabschiedet. Das perfekte Timing sorgt für den ersten Lachanfall der Tour. FIRRR-PLATSCH. “He, schaut mal, was ist denn das für ein riesiger leuchtender Spinnaker da hinten. Ah, jetzt wird er eingeholt…” “Mmmh, Fredi? Das ist der untergehende Mond.” Der Rest der Nacht geht auch noch in Rauch auf…
Morgens holen wir Trosse und Kette exakt genau so auf, wie sie runtergefallen waren. Null Drift. Und hier soll Geologie erlebbar sein? Nach Frühstück und zwei Thronbesteigungen auf dem Vorschiff (wo man mal in Ruhe alleine die Natur betrachten kann – selten so schön gek#%&§) kommt langsam Seewind auf. Unter Genua auf Kurs 90° in Richtung Barhöfter Rinne. Der Dornbusch steigt über die Kimm. Das Wasser ist so klar, dass man in 6 m Tiefe den Grund sehen kann – WOW. Querab die Hohen Dünen östlich von Zingst. Vor dem Gellen drehen wir in die Rinne, baumen die Genua aus und los fliegt der Schmetterling. Die ausgedehnten Flachs südlich von Hiddensee spiegeln im Sonnenglast die Rügensche Küstenlandschaft. Zwei Meter neben der Rinne stehen die Vögel im für sie knietiefen Wasser. Was für ein Anblick. Ab dem Parower Haken geht die Blase in die Luft und wir rauschen zunächst nach Altefähr. Für Kaffee und Kuchen an einer Bar, die in früheren Tagen mal ein Folkeboot war. Nach dem Festmachen in Strullsand schnackt uns der Stegnachbar voll. “Morgen ist der letzte Tag, wo man noch raus kann. Danach nur noch Schietwetter. Wir brechen ab, wa` Heidi?” Schaut über seinen Brillenrand aus seiner Kuchenbude auf uns im Freien runter. “Mit dem Boot wollt ihr jetzt rund Rügen? Bleibt ma`lieber hier.” Der Typ nervt – verholen uns an Land, wo ein englischer Reisender wundervolle Gitarrenklänge ertönen lässt. Lini trifft ein. Wir sind endgültig tiefenentspannt. Der Motor blieb bisher aus. Alles gesegelt.
Um 8.20 Uhr springt das Licht an der Ziegelgrabenbrücke auf Grün. Regattastart. Rauschen in einem dichten Pulk von Booten den Strelasund entlang. Da will aber auch keiner einen Meter verschenken. Der Wind kommt kräftig, teils sehr böig ein. An Zudar vorbei auf den Greifswalder Bodden, wo sich die Welle bei solch einer Brise schon ordentlich kurz und stuckig aufgeschoben hat. “Ist ja nicht umsonst berühmt-berüchtigt die Ecke. Aber ab dem Südperd haben wir ja Abdeckung, da wird`s ruhiger.” Denkste! Der Wind dreht kräftig auf und bald ist es Zeit für einen Vorsegelwechsel und kurz darauf schon das erste Reff. Das ist wörtlich zu nehmen: Unsere Reff-Premiere auf der ‘EigenArt’! Dumm daran: Bei all der Schönwettersegelei haben wir doch glatt vergessen die Smeerreeps einzubinden! Das nachzuholen macht ganz schön viel Gehampel an Deck notwendig. Die Schwimmwesten liegen derweil natürlich sicher und trocken unter Deck! Merke: Höre nicht auf alte Segeldaddies, die von ‘dem letzten schönen Segeltag’ schwadronieren. Denn als wir um das Nordperd kommen, schiesst es dolle aus der Prorer Wiek und ein zweites Reff wird fällig. Zwischen all den seemännischen Arbeiten lassen wir das Bewundern der Kreidefelsen natürlich nicht zu kurz kommen. Im Winter gab es wieder einige Abbrüche und ordentlich Erosion, die die Küste ’nicht nur sauber, sondern wirklich rein’ gewaschen hat.
Wie stark die schützende Wirkung so einer Luvküste ist, erstaunt uns einige Meilen später gewaltig. Natürlich erst als sie fehlt und uns die geballte Gewalt des Windes trifft. Zusammen mit einem klein wenig Kapeffekt haben wir ganz bestimmt eine 8. Dazu die passende See, unglaublich wie sehr sich das schon auf den wenigen Meilen von der Schaabe aufbaut. Und steil wie die Ostsee oft ist, muss die ‘EigenArt’ ganz schön was einstecken. Es rummst im 10 Sekunden-Takt so gewaltig, dass uns echt hören und sehen vergeht. Und schon wieder hebt sich der Bug und schießt über die Welle hinaus in die Luft. Ich könnte schwören, man sieht jedes mal den kompletten Kielansatz. Zähne zusammenbeißen. BÄNNGG. Flacher Polyester-U-Spant trifft Wasser-Oberflächenspannung. Autsch. Bisher ist immer das nasse Element zur Seite gezischt. Hatten wir bis eben noch eine Menge Spass, so vergeht uns langsam das Lachen. Denn es wird nur noch mehr. “Schau mal einer ins Hafenhandbuch zum Thema Lohme.” “Hab ich schon, willst Du nicht wissen.” “Sach schon!” In bester Freestyle-Hip-Hop-Manier: “Du willst auch allen Sachen auf den Grund gehen: Bei auflandigem Wind Gefahr von Grundseen.” Oh schön, Grundseen – der Freund jedes Aussenborders! Wo der doch sowieso schon für seine unglaublich brachiale Bremswirkung im Rückwärtsgang bekannt ist. Und der Hafen gefühlt so breit wie unser Boot lang.
Es ist gut gegangen gestern. Nur den Verklicker haben wir versenkt. Und die Schaumspur des im Rückwärtsgang bis zum Anschlag aufgerissenen Quirls sieht man heute noch. Aber der Ausblick von der Steilküste in Lohme aufs gegenüberliegende Kap Arkona ist es wert. Das berüchtigte, wetterumtoste, strömungsumbrandete. Für heute geplante. Dieser Kloß sitzt tief, denn der Wind hat zwar abgenommen, aber nicht sehr viel. So zweifeln wir noch in der Tromper Wiek: Wirklich rum, oder doch zurück? Lini gibt den Ausschlag: “Wenn wir jetzt hier rumzweifeln, entscheide ich: Und wenn ihr wissen wollt, wofür: Schaut mal nach oben.” Im Norden strahlender Sonnenschein, im Süden dicke Wolken. Deutlicher kann uns die Natur kein Zeichen geben. Danke Lini, dass Du sie auch lesen kannst! Und wie: Den ganzen Tag wunderschönstes Segelwetter mit einer starken 5. Holen einmal weit nach Norden aus, um die Strömung zu vermeiden, und landen mit dem darauf folgenden Streckbug zielgenau im Fahrwasser nach Hiddensee. Einen zittrigen Moment gibt es noch: Ich habe doch tatsächlich vorm Ablegen keinen Sprit nachgegossen. Fällt mir ein, kurz bevor das Fahrwasser richtig dolle eng wird. Nach dem Blick in den Tank: War auch nicht zu früh…
Aufgrund starker Intoxikation (Stichwort: fremde Hochzeitsfeier gekapert!) fällt der Sonntag weitgehend aus. Lini findet eine Mitsegelgelegenheit von Kloster nach Stralsund – im Tausch gegen eine Mitfahrgelegenheit von Stralsund nach Rostock! Wir Jungs verdümpeln den Tag in Kloster. Lernen abends Andreas aus Wismar mit seiner ‘XXS’ kennen. Unterhält uns bis spät in die Nacht mit amüsantem Seemannsgarn. Zum Lachen reicht es bei uns noch – die Sprachfähigkeit ist in Rauch aufgegangen. Verabreden uns für gemeinsamen Schlag zum Darßer Ort am nächsten Tag – Kleinkreuzer unter sich.
Entdecken anderntags, dass wir überwiegend Kindsköpfe sind. Sehr erfrischende Entdeckung übrigens. Endet in einer wüsten Klopapier-Seeschlacht! Davon werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen – Tränen gelacht. Doch gegen Nachmittag brist es gewaltig auf und die kleine ‘XXS’ muss weit unter Land etwas Schutz suchen. Wir sind dankbar für 500 Kilo gut einen Meter unter uns. Am Darßer Ort schlagen wir uns wieder vereint durch Mückenschwärme bis zum Weststrand und zelebrieren die große Freiheit im Sonnenuntergang – mit Bierflaschen-Jonglage. Tat unglaublich gut, fast einen ganzen Tag wieder Kind zu sein. Ein würdevoller Abschluss für diesen Bericht…