Calmar sunt servanda!

Nachdem wir uns in Figeholm mit frischer Wäsche und Proviant versorgt haben, kann für uns das Sommer-Schären-Segeln endlich so richtig losgehen. Wir wollen auch endlich raus aus dem Kalmarsund! Helene hat in Ermangelung einer Rutsche schon einmal symbolisch den alten Stockanker auf dem Hafengelände mit ihrem Hintern auf Hochglanz poliert. Symbolisch, weil wir in der nächsten Zeit möglichst oft ankern und die Gästehäfen meiden wollen.

Los geht es zunächst leider auf Kohlenwasserstoffbasis, denn im vorgelagerten Schärengürtel ist das Kreuzen doch recht begrenzt möglich und der Wind steht genau entgegen. Lini hangelt sich also tapfer knatternd von Tonne zu Tonne und macht sich mit der Schären-Navigation vertraut: Alle paar Meter lauert ein Stein über oder – noch schlimmer – knapp unter Wasser. Als die letzte Untiefe hinter uns liegt, gehen endlich die Segel hoch und wir auf Kurs.

Derweil baut sich über Land ein anständiges Wärmegewitter auf. Passenderweise genau über dem AKW in Simpevarp, wo es böse vor sich hin grummelt und auf eine Gelegenheit zum Zuschlagen wartet. Um uns vollends in trügerischer Sicherheit zu wiegen, schläfert es zusätzlich den Wind ein. Wir lassen uns jedoch von der drückenden Stimmung nicht einlullen und wählen eine Route die uns parallel zur Küste führt. Hier draussen sind wir sicher.

Vor uns taucht irgendwann ein Segel auf, das beständig größer wird und näher heranrückt. Obwohl es auf gleichem Kurs unterwegs zu sein scheint. Langsam aber dennoch deutlich kommen wir auf – trotz des wieder im Schlepp befindlichen Banana-Boots. Das Segel gehört zu einem schwedischen Boot ähnlicher Größe. Schweden ist ansonsten bootstechnisch mit Deutschland vergleichbar: Segeln beginnt erst mit 32 Fuss Länge – drunter gibt es nur noch selten. Dementsprechend freuen wir uns, endlich mal jemanden in unserer Gewichtsklasse zu sehen. Ein frenetisches Gewinke meinerseits ist die Folge. Die Reaktion fällt ebenfalls hocherfreut aus. Vielleicht auch amüsiert angesichts meines leicht infantilen Gewinkes?

Das Gewitter hat sich unterdessen selbst ein Bein gestellt: Es hat einfach zu früh am Tage begonnen, die Sonneneinstrahlung auf die Oberfläche durch Wolkenbildung zu unterbinden. Nun geht ihm der Atem aus und es fällt langsam in sich zusammen. Also entscheiden wir uns, nun doch die nächstmögliche Einfahrt in die Schären zu wählen. Denn der Tag neigt sich auch langsam seinem Ende zu. Und die Ankerbucht zwischen den Inseln Istergås und Ängö, die wir uns aus Heikos Revierführer ausgesucht haben, ist mit Vorsicht anzusteuern. Denn die westliche Einfahrt soll laut Karte nur 1,80m Tiefe haben.

Vor dem Wind zischen wir durch die Ansteuerung in die Schären. Helene bekommt unter Deck langsam etwas grantige Laune. Sie ist ja echt entspannt und verlangt nicht viel, aber beim Essen hört der Spass auf. Gut, darum kümmert sich Lini und ich kann derweil das Groß wegnehmen. Bis kurz vor der Einfahrt geht es dann unter Fock weiter, bevor die Schubseinheit angeworfen wird. Die nervöse Anspannung steigt: Bei mir wegen der Einfahrt, bei Helene wegen der hungrigen Ungeduld und bei Lini schliesslich wegen beider Fremdeinflüsse. Zwischen niedrigstem Drehzahlbereich und ausgekuppelt wechselnd tasten wir uns mit 1-2 Knoten vor. Der Blick auf das Echolot lässt mich zweifeln, doch bevor ich reagieren kann passiert es auch schon: „Rummms.“ Doch diesmal hört es nicht so schnell auf: „Bumms. Polter. Polter. Knirsch.“ Der Wind schiebt uns aus der Mitte der Einfahrt auf die Seite und wir sitzen hoch und trocken. Auf Position 57°30.099’N 16°44.481’E. Aber immerhin noch gerade! Doch der Rückwärtsgang schafft es zunächst nicht, uns da wieder runter zu holen. Für einen bangen Moment herrscht bei mir Ratlosigkeit, bevor ich dem Quirl Vollgas rückwärts befehle. Nach einigem Zittern kommt Bewegung in die Sache und wir schwimmen wieder.

Puh. Durchatmen und Nachdenken. Treibend im Fahrwasser bei über 6m Tiefe. Zeit zur Selbstkritik: Es scheint Niedrigwasser zu sein, fällt mir jetzt auf! Hätte man auch vorher drauf achten können. Fazit: Zweimal vermeidbare Grundberührung bei zwei Ankerversuchen. Tolle Quote. Wenn das so weiter geht, gebe ich das Ankern auf, kaufe mir einen Motorsegler und motore von Service-Marina zu Service-Marina. Mit ständig laufendem GPS-Plotter, Echolot und allen Warnausrüstungen. Nein Quatsch, in Wirklichkeit fehlt einfach nur die Erfahrung in solchen Gewässern und die bekommt man nur durchs Machen und Lernen. Und unter dem Strich war beide Male die sehr langsame Geschwindigkeit gut gewählt. Gut, dass der Farbaufbau an der Kielsohle sowieso mal wieder fällig ist 😉

Soweit der Blick zurück, doch was nun? Glücklicherweise gibt es ein paar hundert Meter vorher noch eine weitere Ankerbucht zwischen Stora Käringskär und Äspeklubben. Mit absolut ausreichender Tiefe. Dann nehmen wir halt die! Also Gang rein und lostuckern. Wenigstens hat sich Helenes Laune dank erfolgter Nahrungsaufnahme deutlich verbessert. Wir sind gerade ein paar Meter weit gekommen, da tuckert uns der schwedische Kleinkreuzer entgegen. Ich stelle mich schon auf einen kurzen englischen Gruss ein, da schallt es mir überraschend Deutsch entgegen: „Wolltet Ihr da rein?“ „Yo, hat aber rumms gemacht.“ „Oh. Wir wollten Euch eigentlich hinterher.“ Vor lauter gegenseitiger Überraschung sind wir schon aneinander vorbei. Also mache ich einen U-Turn und tuckere hinterher. „Wollen wir gemeinsam eine andere Bucht suchen? Wenn Ihr Lust habt?“ kommt die Frage von der deutschsprachigen Crew der schwedischen ‚Sjögeten’ (Seeziege). Ja, haben wir und suchen müssen wir auch nicht lange. Also drehen wir gemeinsam um und zockeln in Schleichfahrt in Richtung Ankerbucht.

Unser Anker fällt problemlos auf Position 57° 29.805’N 16°44.156’E und mir ein Stein vom Herzen. Unsere Mitankerer fahren einen Kreis um uns und teilen uns mit, dass sie doch die andere Seite der Insel bevorzugen. Dort wollen sie direkt an den Fels, um mit dem Hund an Land zu können. Wir verabreden aber zu späterer Stunde eine Kontaktaufnahme – sie per Pedes oder wir per Paddel. Und dann kehrt Ruhe ein. An Bord spielen sich dann sehr häusliche Szenen ab: Helene bekommt ihren Schlummertrunk und wird ausgiebig bespielt. Zum Einschlafen nehme ich sie ins ‚Bondolino’ und Lini rudert uns um die nördliche Ecke der Insel Käringskär herum, um nach den Anderen zu sehen.

An einem Felsvorsprung haben sie tatsächlich festgemacht und der Hund meldet pflichtschuldigst unsere Annäherung. Wir kommen über die Badeleiter am Heck an Bord. Ein kurzes Gespräch mit Ibi und Jörn im Cockpit macht deutlich, dass wir uns gegenseitig sehr sympathisch sind – aber Helene so nicht zur Ruhe kommen wird. Also brechen wir schnell zu einer Inselerkundung auf. Uns erwartet eine Kletterpartie über Steine unterschiedlicher Größe. Überall sind sie von Flechten, Moosen und verschiedensten Gräsern bewachsen. Und von Mückenschwärmen bevölkert. Jede noch so winzige Spalte, in der sich Erde sammeln kann, ist von Büschen und Bäumen erobert worden und lässt diese eigentlich unwirtlichen Felsen so lieblich erscheinen. So erkunden wir die für uns neuartige Schärenlandschaft Ostschwedens und beginnen uns unsterblich zu verlieben. Schliesslich schauen wir vom höchsten Punkt des Eilandes auf unser ankerndes Boot herunter. Das sind solche magischen Augenblicke, die man sich vor dem Törn vorgestellt hat. Klappe zu, Augen auf.

Als Helene endlich in den Schlaf gefunden hat, kehren wir langsam zurück und hoffen, dass die Hündin Siria sie nicht gleich wieder aufweckt. Doch Jörn hält sie mit liebevoller Stimme und Geduld ruhig, bis wir bei Ihnen sind. Toll, dafür hat sie auch extra Stöckchen-Werfen verdient. Die nächsten 2 Stunden vergehen wie im Fluge, während wir uns gegenseitig bei sehr offenen Gesprächsthemen kennenlernen. Die Lebenswelten passen sehr gut zusammen, stellt sich heraus. Die Auflösung der Herkunft der Beiden in Kurzform: Ibi hat eine schwedische Mutter, ist aber in Deutschland aufgewachsen und Jörn ist schon vor sehr langer Zeit nach Schweden aufs Land gezogen. Bevor wir durch die Dunkelheit zur ‚EigenArt‘ zurückrudern, verabreden wir ein Wiedersehen am nächsten Morgen. Dann leuchten uns nur noch die Augen eines nachtaktiven Tieres an der Felswand.

Der Dienstag findet vor Anker statt. Ibi, Jörn und Siria kommen irgendwann um die Hucke getuckert und machen längsseits fest. Gemeinsames Teetrinken, Kekse essen und Geschichten erzählen. Die drei rudern mit dem Banana-Boot die 30m rüber nach Äspeklubben, um einen Landgang zu machen. Derweil entdeckt Helene ihre Leidenschaft für die Pinne – hin und her mit begleitenden „Pi…, Pi…“ Rufen. Anschliessend setzt sie das Werk von Caroline und ihrer Mutter auf dem Cockpit-Boden fort – mit kräftigen Strichen ihrer Wachsmaler. Ach wie schön ist das Leben vor Anker: Keine Ablenkungen, Besorgungen, Notwendigkeiten. Dann ist die Reihe an uns, das östliche Eiland zu erkunden. Karg und doch lieblich. Steinig. Verflochten und bemoost. Nach Süden zu gibt es ein kleines Plateau, wo der Wind sehr angenehm kühlt und der Blick über die äußere Schärenlandschaft streift. Lini schwärmt.

Anschliessend soll die vorher schlafende Helene noch ein wenig ‚Auskrabbel‘ bekommen und wir rudern in die Steinausläufer südlich der Bucht zwischen den Inseln. Geologie als Detektivarbeit: Welcher Stein ist durch die Witterung herausgesprengt – welcher durch das Eis transportiert? Interessant wie sich die minimalen Wellen in den Ausläufern der Steine zu einer richtigen Strömung in den Minikanälen auswirkt. Wunderbar, wie die Sonne hinter den fichtenbestandenen Felsen versinkt. Gegen Abend verholt die ‚Seeziege‘ an den Felsen und dort klingt dann auch der Abend mit ein wenig Gitarrenmusik aus. Leider ohne Lini – die ist beim Helene in den Schlaf bringen einfach eingeschlafen. Selig ist das Ankerleben in Stora Käringskar – da vergisst man glatt, dass wir endlich den Kalmarsund hinter uns gelassen haben!