Den Tentakeln des Kalmaren entkommen

Der Wind ist die letzten Tage wirklich schon recht kräftig geworden und hat vor allem auf Nord gedreht. Schon seit mehreren Stunden verfolgen wir am Montag nebenbei die vereinigten Bedenkenträger und registrieren ihr selbstbestärkendes Verhalten: “Nein, es ist wirklich zu viel Wind!” “Ja, sehr gut, dass wir nicht rausgefahren sind.” “Das ist ja reines Bootsspringen!” “Habt Ihr gesehen, die Schweden von gegenüber sind nach einer halben Stunde wieder da gewesen…” Das Schlimme daran ist, dass dieses Gequatsche tatsächlich immer wieder Einfluss auf den eigenen Entscheidungsfindungsprozess nimmt. Auch wenn die zumeist älteren Protagonisten genau zu denjenigen gehören, die bei der schönsten Backstagsbrise durch die Gegend dieseln.

Schliesslich lassen wir uns auch diesmal nicht beirren. Ausserdem: Wir wollen hier jetzt echt mal wieder weg. Das Allinge-Gefühl ist noch viel zu präsent. Also beschliessen wir es zu versuchen – diesmal nordwärts GEGEN den Wind und GEGEN den Strom. Bedenken haben wir eigentlich nur wegen des Motorens im engen Fahrwasser – haben wir erst einmal Platz zum Segeln, ist das echt kein großes Problem. Die leicht entsetzten älteren Holländer neben uns besänftigen wir mit: “Probably, we`ll be back in 30 minutes.” Und dann tuckern wir in Richtung Hafenausfahrt.

Sobald wir in die Fahrrinne einschwenken merken wir den kräftigen Gegenstrom: Mächtig Fahrt durchs Wasser, aber wir kommen kaum vorwärts. Kurz vor der großen Brücke setzen dann auch die zugehörigen Wellen ein. Bevor wir die nicht bewältigt haben, sind wir auch noch nicht weg aus Kalmar – darüber sind wir uns einig. Aber unsere fernöstliche Krachtüte macht das wirklich gut, auch wenn es arg nach Stimmbruch klingt, wenn sie zwei Oktaven überspringt – im einen Moment voll eingetaucht tief brummelnd und im nächsten hell quietschend fast aus dem Wasser.  Unter Deck sieht Helene auch ganz schön bedröppelt aus und wir fragen uns, ob so kleine Kinder nicht doch seekrank werden können.  Ungünstigerweise zieht sie sich noch in ihre Lieblingsecke zurück – direkt unter dem Ankerkasten, wo es auch am meisten auf- und abgeht. Zur Aufmunterung werden alle Register gezogen, zunächst von mir mit vollem Ölzeug schwitzend im Sonnenschein. Denn gleich werden die Segel hochgehen und die Rollen vertauscht.

Noch im Fahrwasser steigt das einfach gereffte Groß empor, dem die Fock kurz darauf folgt – wir sind raus aus Kalmar!!! Hier übernimmt Lini die ‘Baby-Schot’ und ich manövriere uns mit kräftiger Krängung durch den mit Untiefen gespickten Sund. Mit Hilfe der Betonnung kann man diesen jedoch gut ausweichen – auch auf einer nassen und stampfenden Kreuz. Vor allem auch ohne iPad! Denn das hat mich die letzten Segeltage den Sund herauf zunehmend an mir selbst genervt: Beim geringsten Zweifel kommt gleich der Impuls zum digitalen Navigator! Das ging doch sonst auch immer gut ohne, was soll denn das? Wenn ich so weitermache, verlerne ich meinen guten Orientierungssinn und die Fähigkeit zur Abschätzung. Und das ist mir doch wirklich wichtig – also bleibt das Ding jetzt weitgehend aus. Nichts desto trotz ist es für meine beiden Liebsten unter Deck zu rauh, um das über Stunden durchzuziehen. Wir wollten ja nur raus aus der Stadt, so fällt schnell die Entscheidung für den nächstgelegenen Hafen – Stora Rör. Und damit liegen wir goldrichtig…